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Deutsch: meine Sprache zum Tanzen

Es ist nicht falsch: die deutsche Sprache besitzt ungeheuerlich lange Wörter. Kann jemand wie ich, der an ADHS litte, sogar mich aufmerksam halten, wahrend  „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitaetsstoerung“ ausgesprochen wird? Das Word „Kühlschrank“ ist ja cool, aber es klingt nach etwas eher bei einem Tatort als in der Küche. Solche zusammengefügte Wörter haben den Ruf der Sprache bei potenziellen Lehrenden überhaupt nicht verbessert. Es soll aber gar nicht so sein.

Mir ist Deutsch eine Sprache zum Tanzen. Die Art und Weise, auf die ich Deutsch gelernt habe, führen dazu, dass diese beliebte Sprache ihre Zuhause in meinem Körper—insbesondere der Stimme und den Füßen—fand, nicht im Kopf. Sie hat eher mich von Scham vor dem Körper befreit als von den konzeptuellen Grenzen einsilbiger Wörter. 

Nach dem Talentabend zieht die Tanzboden die anderen an. Ich bleibe nüchtern und fast zitternd in der Ecke, so wie ich gewöhnlich tue. Ich erkenne die Lieder nicht, auch eine meiner schämenden Gewohnheiten (ein bisschen mehr okay auf einer Fremdsprache). Kurz zuvor habe ich ganz angenehm mit den anderen, Leute, die ich lieb habe, flüssig und ununterbrochen geredet. Jetzt ist es aber Zeit zum Tanzen und mein Körper schweigt, so wie es gewöhnlich tut. Gleichzeitig führt die Stimme im Kopf ein Gespräch mit mir selbst—oder eher schreit mich an, während ich, der sich sicher Ich, noch schweige. 

Die Freunden freuen sich für die Tanze. Für die Freiheit und Gelassenheit, vermute ich, die sie ihnen ermöglicht. Sie schämen sich nicht, denke ich (sicher war es nicht ganz so, das wusste ich schon dann). Ich beneide es ihnen. Plötzlich bin ich wieder klein, eingeschränkt von meinen Gedanken, allein unter vielen. Ich ertrage es nicht. Die anderen scheinen, so froh zu sein. Und die sind sicher bei mir—nur ich bin nicht mir dabei.

Und dieses Mal, auf einmal—kaum zu glauben—provoziert dies mich zur Bewegung. Zu kleinen Schritten, dann größeren, frohen, endlich von mir unbeobachteten. Es war mir schon immer so: die Vorfreude veranlasst mich zur Bewegung viel mehr als die Scham und jene verdammte Kopfstimme, die täuscht ständig vor, mir dabei zu sein.

Sicher waren es die liebe Leute, die das Tanzen mir ermöglicht haben. Aber die Sprache spielt auch eine Rolle. Die Stimme im Kopf konnte nicht so schnell auf Deutsch reden, wie es nötig gewesen wäre, um mich aufzuhalten. Die Freude vor lebendigen Bewegung erfüllt die Lücke, die der herzlich willkommene Mangel an Wörter endlich in meinem Kopf lassen. Mein Kopf schweigt, ich aber schliesslich nicht.

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Wir sind alle Proben Mitleiter hier (unbearbeitet von 28 Juli 2019, als ich mit Deutsch anfing)

Ich fürchte mich.

(So haben wir alle einmal gedacht.)

Atmen.

So beginnt hier die Alltagsprobe.

Fange du an.

Doch.

Doch!

Bitte.

Bitte.

Fangen wir an,

So einstimmig wie möglich.

Auch wenn es für Anfänger eigentlich nicht sehr möglich ist.

Schweigen.

Atmen.

Ein.

Szene: Selbstbewusstsein

Ich bin ganz lieb, sagte ich ernst.

Du, die Deutsch besser kannst, lachtest liebevoll, erfreut. 

Gut, denke ich, sie weiß, sie geliebt ist—

Komisch, denkst du: er gesteht fast nie, dass er liebenswert sei.

Und die beide bekommen genau was wir brauchten. Lächeln.

Szene: Zufallshoffnung

Er sagt, er von seiner Frau geschieden ist.

Unsicher höre ich so deutlich wie möglich zu.

Na ja, sag ich cool, was für eine Entscheidung habt ihr getroffen?

Überrascht antwortet er ruhig:

Vielleicht hast du Recht. Wir haben zumindest zusammen dafür entschieden.

Szene: Erwachsener Unschuld

Ich bin so Entschuldigung, dass deine Freundin gestorben ist—wir umarmen uns.

Es tut mir Leid, noch einmal bitte? Ich konnte nicht hören.

Szene: Wahrheit, auf jeden Fall

Es ist so lustig, plötzlich traurig zu sein—

Und so wird es.

Und so wird das Gewicht leichter.

Er ist so nett und komisch, der Komiker, oder? —

Und mein Zuhörer sagt mir keinen Bescheid, weil jemand endlich die Wahrheit dahinter gesagt hat.

So geht es bei uns.

Jeder Tag wird vorsichtig improvisiert.

Merkt ihr, wie viel wir tun können, wenn wir wissen nicht besser, als furchtlos zu sein?

Wenn ihr endlich euere Fehltritte bemerkt, bitte, Schritt haltet.

Sie gehen einfach um die Sprache, doch das Herz hat immer noch Recht.

Das Publikum merkt nicht so deutlich euere Gefühle: nur einen Mangel daran.

Also besser Ausbruch durcheinander, als richtiges und verstimmt Gefühl.

Einfach 

Tanzt weiter.

Atmen.

Zusammen.

Ein

Immer weiter und wieder

Aus.

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Inventar einiger erinnerungswürdiger und hilfreicher Dinge immer uns dabei

(28 Juli 2019 nach einem Jahr Deutsch geschrieben / bearbeitet 30 Juli 2020)

Die Orange der Baukegel gegen dem grauen Abendhimmel

Ein Bild davon vorsichtig, genau, lange anschauen, allein im Rotlicht der Dunkelkammer

Liebevoll den Stuhl spüren—Er ist gut gemacht. 

Vielleicht du auch.

Feste Fläche. Der Boden. Auf einer leeren Bühne still sitzen und gut zuhören während du nichts hörst.

Zuhören: etwas, alles, das Kleinewichtige. Die leise Stimme in dem Unbelebt (doch) hören.

Ein Funke Schönheit aus dem Augenwinkel merken, in einer Welt von der du eben nichts erwartest.

Eine stattliche und sympathische Stille.

Ich bin heute zu müde, runter in den Kaninchenbau zu fallen.

Warum nicht bleiben, bis zur Aufführung am Samstag?

Ich muss mein Griff noch verbessern—

Und sonntags gibt es Backtage!

Knöchelweiß hart festhalten, diesen Weißton beobachten

Versuchen, schlicht aber genauer ihn zu beschreiben, gleichzeitig

Gospellieder summen (als konfessionslos Jude)

Jedes Mal ein Zug vorbei fährt und ich mich widersetze irgendwo bestimmt rechnen.

Nach Tragödie am 23 Uhr an einer Arbeitsnacht die Gründe der Instabilität des Nahen Ostens im Ersten Weltkrieg und dem Zusammenprall der Reiche mit Papa, nur Papa, besprechen—trotzkistisch, natürlich.

Nach Tragödie immer wieder auftauchen an die gewöhnliche Orten

Nach Tragödie um sich sanfter kümmern

Nach Tragödie sich am Boden festhalten.

Sätze auf Altgriechisch über Philosophen, Dichter, Seeleute die großes Heimweh fühlen üben 

(Ich darf noch nicht sterben, wenn ich alle die alten Wörter für Zuhause noch nicht kenne)

Nachts beim Schreiten ein Manifest vorstellen, das den Zweck des Menschen und meinen erklärt

Darauf schlafen

Morgens wieder ruhig es wegwerfen.

Ein Ziel für heute Morgen setzen

Einen liebevollen Blick auf den Bilderrahmen, den ich im Krankenhaus geschafft habe, heften, ohne dass dieser Blick zu lange dauert, ohne dass er zur falschen Art von Blick wird.

Wenn es heute besonders schwer fällt:

 Zumindest zum Frühstück bleiben

dann zu den täglichen Diensten

dann meiner Kunst (meinem Lieblingspflicht).

Beim Gespräche, egal mit alten Bekannten oder neuen Freunden direkt zum Fall kommen, kein Smalltalk, sondern einfache Wörter:

Wovon hast du als sechsjähriges Kind geträumt?

Wer hat dich geweckt?

Was dir immer noch Hoffnung gibt?

Können wir bitte es gemeinsam haben?

Wie liebst du? Wovor hast du Angst?

…Immer?

Doch (so du)

Erzähle mir von deiner Geschichte!

(also, unserer)

Dann warum leben wir?

Dies wird abwechselnd Lob, Lament, Gebet, zitternde Stimme sein–wozu das Leben?

Es ist keine dumme Frage, sondern eine menschliche (also, doch).

Lass es aber manchmal Wunder, Freude, Dankbarkeit sein.

Hör die Antworten deutlich zu! 

Es ist das Kleinste, was wir tun können. Das Wichtigste.